Weyls infinitesimalgeometrie, 1917 – 1925

Erhard Scholz

pp. 48-104

in: Erhard Scholz (ed), Hermann Weyl's "Raum — Zeit — Materie" and a general introduction to his scientific work, Basel, Birkhäuser, 2001

Abstract

Als Weyl sich ab Herbst 1916 der gerade neu entstehenden Relativitätstheorie zuwandte, befand er sich in einem tiefgreifenden und vielschichtigen Klärungsprozeß uber die Rolle der Mathematik in der Naturerkenntnis und uber mögliche Wege einer zufriedenstellenden Begrundung der Mathematik des Unendlichen. Als einen ersten Teilschritt dieser Klärung verfaßte er seine im November 1917 abgeschlossene Studie Das Kontinuum. In dieser stellte er die Grundzuge einer konstruktiven Begrundung der Analysis vor, die das Russell-Poincarésche Verbot "imprädikativer Definitionen" einhielt." In Rucksichtnahme auf diese Kritik ließ Weyl hier lediglich solche Definitionen zu, die Existenz-und Allaussagen nur uber den naturlichen Zahlen (oder uber n-Tupeln naturlicher Zahlen) verwendeten. Modernisiert gesprochen, beschränkte er sich also auf definitorische Terme, die in Prädikatenlogik erster Stufe uber IN formulierbar sind. Damit erschien Weyl insbesondere die Konzeptualisierung der Gesamtheit der reellen Zahlen,also der Menge IR, als unzulässig. An die Stelle des mathematischen Begriffs der reellen Zahlen setzte er stattdessen ein philosophisches Konzept des (reellen) Kontinuums, das als ein nur potentiell Unendliches den intuitiv-philosophischen Rahmen fur die mathematischen Theoriebildungen abgeben sollte. In diesem Kontinuum spielte sich fur Weyl der mathematische Prozeß der geregelten symbolischen Erzeugung von Objekten und der Formulierung gesetzmäßiger Zusammenhänge ab. Dabei experimentierte er in verschiedenen Stadien seiner Arbeit mit unterschiedlichen Regelsystemen und skizzierte verschiedene mögliche Rahmungen des mathematischen Kontinuumsbegriffs.

Cited authors

Weyl Hermann

Russell Bertrand