

Die Musik — gegen die Musiken
pp. 19-39
in: , Das Unerhörte und das Unhörbare, Stuttgart, Metzler, 2004Abstract
Ist in westlichen Kulturen von Musik die Rede, spricht man, nach allgemeinem Brauch, im Emphatisch-Einzahligen. Abgehandelt wird die Musik von Gustav Mahler (als ließen sich seine Werke über einen Kamm scheren), die des Ludwig van Beethoven, die des Barockzeitalters, die der Renaissance. Mit Bezug auf verschiedene nationale Traditionen — der Leser mag die Betonungen selbst hinzufügen — hält man sich an die russische Musik, die französische, die italienische. Und obzwar heute kaum noch jemand das Deutsche in der Musik auf der Zunge fuhren möchte, zumindest nicht ohne einen bitteren Nachgeschmack: Die deutsche Musik und die deutsche Musikgeschichte sind, unter dem Stichwort »Deutschland«, auch in der neuesten Ausgabe einer prominenten Musikenzyklopädie vorfindlich. Letztere sogar weitet, wie üblich, die Singularisierung aus zum Universalen und Welthistorischen. Denn ungemindert lautet ihr Titel »Die Musik in Geschichte und Gegenwart«. Dass man den bestimmten Artikel, mit Sinngewinn, hätte einsparen können, kam offenbar nicht ernstlich in Betracht. Freilich muss man die kritische Messlatte nicht zu hoch auflegen. Schließlich verbietet das Englische, als internationale Norm-Sprache, die Pluralfügung »musics« ganz ausdrücklich. Und auch wenn Ideologen einer kulturellen Ethno-Industrie und World-wide-Szene recht häufig die »Musiken« anderer Erdteile propagieren: Ob musikalische Globalisierung der Bewahrung und Beförderung von Mannigfaltigkeiten wird dienen können oder nicht doch einer Konzentration und Zentralisierung zuarbeitet wie im Ökonomischen, bleibt einstweilen fraglich, zumindest unentschieden. Immerhin präsentiert sich die einschlägige Werbevokabel »world music« neuerlich und unvermeidlich im Singular.