

Deutsche Mythologie
pp. 357-365
in: Carsten Rohde, Thorsten Valk, Mathias Mayer (eds), Faust-Handbuch, Stuttgart, Metzler, 2018Abstract
Der seit der Historia (1587) zirkulierende Faust-Stoff und vor allem die seit 1833 in zwei Teilen vorliegende Tragödie von Johann Wolfgang Goethe werden in der Zeit zwischen 1850 und 1945 zu einem vielfach ausgebeuteten Reservoir für heterogene Umgangsformen. Von ihren literarischen Gestaltungen in konkreten Texten abgelöst, machen die Überlieferungsstränge und ihre Figuren rezeptionsgeschichtliche Karrieren und avancieren im Verlauf weltanschaulich-ideologischer Entgrenzungen zu evaluativ besetzten Chiffren umfassender Kultur- und Welterklärung: Zu einer »tiefsinnig allegorischen Sage« bzw. zu einem »durchaus vaterländischen Mythus« (so schon Horn 1820, 51) erklärt, erscheinen Faust-Darstellungen und -Interpretationen in geistes- und kulturgeschichtlichen Diskursen über die Konditionen modernen Denkens und Handelns ebenso wie in weltanschaulich-ideologischen Deutungskämpfen um das Wesen des ›deutschen Menschen‹; als solche bilden sie unterschiedlich besetzbare und zu deutende Topoi einer in verschiedenen Spielarten verbreiteten ›Deutschen Mythologie‹.